Gast der Redaktion

Ehemaliger Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten
beim Bundesamt für Gesundheit

Ein Jahr COVID-19 – wie geht es weiter?

Jeder Polizist weiss, es sind nicht die Verkehrsregeln, welche die Unfälle verhindern, sondern die Vernunft der Verkehrsteilnehmenden. Die Regeln sind wichtig und nötig, um ein vernünftiges Verhalten im Verkehr zu ermöglichen, sonst wird es schnell gefährlich. Die Voraussetzung ist, dass die Leute die Regeln kennen, verstehen, akzeptieren und befolgen. Das Grundprinzip ist daher einfach: Der Verkehr wird so geregelt, dass alle Verkehrsteilnehmenden sich bewegen können, ohne sich zu behindern oder zu gefährden. Und dazu braucht es ein rücksichtsvolles und vernünftiges Verhalten sowie Regeln.

Beim Umgang mit Epidemien haben wir eine ähnliche Problemstellung wie beim Verkehr. Die Grundregel ist dieselbe: Niemand soll eine andere Person mit einer übertragbaren, gefährlichen Krankheit gefährden. Das hört sich einfach an, doch auch hier liegt die Schwierigkeit im Detail. Was verstehen die Leute, welche Regeln braucht es und wo ist das ideale Mittelmass zwischen strengen Regeln und reiner Selbstverantwortung.

Der Bundesrat hat am 11. Dezember 2020 harte Massnahmen für die ganze Schweiz beschlossen und gleichzeitig auch Ausnahmen für einzelne Kantone ermöglicht. Das Wallis hat seit über einem Jahr immer versucht, schnell und situationsgerecht zu reagieren und seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Mit viel Aufwand und grossen Anstrengungen ist es gelungen, die Skigebiete zu öffnen und mit grossen Einschränkungen zu betreiben. Das muss man als einen Erfolg der Regierung anerkennen, selbst wenn dies den einen zu weit und den anderen zu wenig weit ging.  

Die Behörden müssen sich um die Gesundheit der Bevölkerung sorgen. Aber weder das Leben, noch die Gesundheit der Bevölkerung besteht nur aus der Abwesenheit von Infektionskrankheiten. Es besteht auch aus körperlicher und geistiger Fitness. Das gilt für jeden einzelnen Menschen als auch für die ganze Gesellschaft. Es darf nicht alles der Infektionsbekämpfung geopfert werden. So wie der gute Hausarzt dafür sorgt, dass ein Patient ganzheitlich und in seinem besten Interesse versorgt wird, so müssen die Gesundheitsbehörden dafür sorgen, dass die Bevölkerung ganzheitlich adäquat betreut wird. Die Gesellschaft braucht eine gesunde Jugend, arbeitsfähige und wertschöpfende Erwerbstätige und Lebensqualität für Seniorinnen und Senioren.

Mit den Impfungen, den neuen Testmöglichkeiten und den Schutzmassnahmen stehen uns jetzt und in naher Zukunft immer mehr Instrumente zur Verfügung um mit der COVID-19 Pandemie umzugehen. Die neue Herausforderung für die Behörden ist es, diese Instrumente so einzusetzen, dass immer weniger Menschen angesteckt werden und immer mehr Menschen die Möglichkeit haben, sich und andere vor der Übertragung zu schützen. Wenn es gelingt, die Bevölkerung vom Sinn und Nutzen zu überzeugen, die Instrumente richtig anzuwenden und die Regeln zu befolgen, dann wird bereits im Sommer vieles wieder möglich sein. Sicher auch das Open Air in Gampel, selbst wenn es dort mehr als nur den Verkehr zu regeln geben wird.

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