Gast der Redaktion

Präsidentin des Lokomotivpersonals
in der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV

Verantwortung tragen

Die Landschaften ziehen vorbei wie die Jahreszeiten. Ich sehe Menschen, welche in schnellem Schritt heraneilen; Menschen, die sich beim Verabschieden küssen; Menschen, welche sich treffen und Menschen, welche sich zur Arbeit begeben. Die Pendler wirken dabei gelegentlich als die Unzufriedensten. Ich hingegen, fühle mich wie der glücklichste Mensch der Welt. Denn ich befinde mich an der Spitze dieses Zuges, welcher 450 Tonnen wiegt und unheimlich stark ist. Ich sitze in meiner Fahrerkabine und kann die Landschaft und zugleich die menschliche Natur beobachten. Natürlich muss ich auch das Know-how als Lokführer beherrschen und dafür sorgen, dass der Zug sicher an sein Ziel ankommt, ohne die Fahrgäste dabei allzu sehr zu rütteln.

Seit dem 1. Januar 2021 bin ich für die Gewerkschaft des Lokomotivführer-Personals zuständig. Ich begann in einer denkbar schwierigen Situation. Die Covid-19-Pandemie machte es praktisch unmöglich, meine Kolleginnen und Kollegen zu treffen, um dabei herauszufinden, was sie beschäftigt und welche Erwartungen sie haben. Ich musste daher eine Lösung finden und nutzte diesen neuen Videokonferenz-Hype, um einmal im Monat einen „Zoom-Talk“ zu führen. Ich logge mich somit in den Computer ein und treffe über dieses neue Tool meine Kollegen. Auch die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber finden auf die gleiche Art und Weise statt. Leider ist diese Technik nicht immer das optimalste Werkzeug für Verhandlungen. Der direkte Austausch ist notwendig, um das Verhalten und die Reaktionen der Teilnehmenden zu deuten, um Kompromisse zu finden. Dies bildet die Grundlage, um in einer Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber Erfolge zu erzielen.

Viele Leute wundern sich darüber, dass ich mich in dieser Männerdomäne bewege. Persönlich habe ich mir diese Frage jedoch nie gestellt. Ich setze einfach mein Interesse und mein Know-how ein und versuche in allem was ich tue, authentisch zu bleiben. Alles was ich mache, führe ich mit Überzeugung und Freude aus. Dies gibt mir die notwendige Energie, um voranzukommen. Züge oder eine Gewerkschaft zu führen? In beiden Fällen stehen die Menschen im Mittelpunkt und ich setze alles daran, diese sicher an ihr Ziel zu führen.

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