Gast der Redaktion

Generalsekretär des Schweizerischen Bergführerverbandes

Der Berg, ein Gefühl der Freiheit?

Oder doch eher ein Ort der individuellen Verantwortung? Beides scheint richtig, vor allem in der Schweiz und in den umliegenden Ländern. Sobald man die „Grenze“ der Alpen überschritten hat, bestehen für alle Berge rund um unseren Planeten teils eigene, mehr oder weniger strengere und oft staatlich definierte Regeln.

Wenn wir von Freiheit sprechen, in diesem Fall von der Natur und den Bergen, bedeutet das auch, persönliche Entscheidungen zu treffen und diese zu akzeptieren. Es geht darum, die Umweltverhältnisse und die Restrisiken zu akzeptieren, denen man zwangsläufig bei allen Aktivitäten im Gebirge ausgesetzt ist. Es geht aber auch um Demut und Einsicht, dass der Berg letztendlich stärker ist als der Mensch. Die Besteigung eines Gipfels ist bekanntlich nur die halbe Miete. Der sichere Abstieg erweist sich oft als der schwierigste Teil des Weges.

Warum eine solche Einführung?

Vielleicht deshalb, weil die Bedeutung dieser Worte gut auf andere Situationen, andere Orte und auf die Menschen übertragen werden können. Ein gutes Zusammenleben bedeutet in erster Linie persönliche Verantwortung zu übernehmen, andere zu respektieren, sein Umfeld zu kennen, Einschränkungen zu akzeptieren oder anzuerkennen, dass uns nicht immer alles zusteht oder möglich ist.

Was nun?

Ich möchte diese einleitenden Worte und auch Bilder – welche in unseren Gedanken dabei entstehen – nutzen, um die untrennbare Verbindung zwischen den lokalen und regionalen Kulturen, der Natur, dem Wissen und der Erfahrung von gestern und heute zu veranschaulichen.
Bergsteigen ist eine über 200 Jahre alte Tradition, die durch den Wunsch und die Leidenschaft von Männern und Frauen, meist unter der Leitung von Bergführern, herangewachsen ist. Der Ausdruck „premiers de cordée“, der oft in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird, ist sehr repräsentativ für menschliche Beziehungen. „Gemeinsam sind wir stärker…“, „Loyalität und Respekt gegenüber den Gruppenmitgliedern»… Diese beiden Maximen gelten natürlich für alle Unternehmen oder Berufe, auch wenn sie in der Praxis nicht immer selbstverständlich erscheinen. Bergführer, Bergsteiger, aber auch Polizisten sind ausgeglichen, selbstlos und verantwortlich für ihr Handeln, welches oftmals risikobehaftet ist. Sie agieren…

  • balancierend, da ihr Umfeld den Erfolg oder Misserfolg ihrer Ziele stark beeinflusst;
  • altruistisch, weil „Öffentlichkeitsarbeit“ oftmals bedeutet, sein Gegenüber zu schätzen. Ohne einen Kunden gibt es keinen Bergführer, und ohne Bürger gäbe es wohl auch keine Polizisten;
  • verantwortungsbewusst, denn ja, die Ausübung eines Berufs im Kontakt mit Frauen und Männern aller Kulturen und Generationen bedeutet, überlegt und angemessen zu handeln.

Das Berufsmodell des „Bergführers“ oder „Polizisten“ kann auch auf andere Tätigkeiten übertragen werden, insofern bestimmte Regeln und Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Dies ist nicht immer offensichtlich.

Vor allem in den Alpentälern sind Skifahren und Bergsteigen fast schon ein Teil der DNA der Menschen. Aber ist das heute wirklich noch der Fall? Beim Bergsteigen geht es darum, Emotionen zu vermitteln und unvergessliche Erinnerungen in den Köpfen von Jung und Alt zu verankern. Es geht vor allem um Wissen, Bräuche und Erfahrungen in einer natürlichen Umgebung. Um den Bergsport und das Wissen über die alpine Umwelt aufrechtzuerhalten, liegt die Zukunft, wie so oft bei den jungen Menschen. Schenken wir ihnen die Motivation und das Wissen, das sie brauchen, um sich des unschätzbaren und einzigartigen Wertes der Umwelt in der sie leben bewusst zu werden und sich als Individuen und als Gesellschaft zu entwickeln.

Wenn es um den Einzelnen und die Gesellschaft geht, sind Bergführer und Polizisten beide dem Gemeinwohl verpflichtet. Der eine führt und leitet die Menschen und der andere regelt und verhindert. Beide müssen in Notfällen entscheiden und eingreifen.

Was steht für den Bergsport und für die Gesellschaft auf dem Spiel?

Die Frage ist ein bisschen langatmig, aber die Probleme können recht ähnlich sein. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es beim Bergsteigen unerlässlich, sich angemessen zu verhalten und bestimmte Regeln einzuhalten. Die Bergführer tragen dabei die Verantwortung für ihre Gäste und sind dabei oftmals auch Vorbild und Meinungsbildner. Aus diesen Gründen werden sie beachtet und respektiert. Für die menschliche Gesellschaft gilt das Gleiche. Es gibt Rechte und Pflichten, Verpflichtungen und Freiheiten. Im Rampenlicht stehen gewählte Politiker, Führungskräfte und die Polizei, welche ein vorbildliches Verhalten an den Tag legen müssen. Letztere sind durch Ihre Anwesenheit im gesamten Kanton die Garanten für die Einhaltung der Gesetze.

Ich verlaufe mich, verliere ein wenig die Orientierung, wie es in den Bergen ab und zu der Fall ist, aber das macht nichts. Man sollte keine Angst haben, etwas zu unternehmen, anzuerkennen, dass man Fehler machen kann, Bemerkungen und Kritik anzunehmen oder mit seiner Meinung zu debattieren, während man anderen zuhört.

Um noch lange in einem freien Raum leben zu können, müssen wir unsere individuelle Verantwortung wahrnehmen, mit oder ohne Bergsteigen, ob wir nun Bergführer, Polizisten oder ganz allgemein als Menschen Teil dieser Gesellschaft sind. Diese Werte sind unbezahlbar.

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