Gemeinsam sind wir stark

Jeden Winter wartet auf die angehenden Polizistinnen und Polizisten in ihrer Ausbildung eine ganz spezielle Übung. Ein Modul, geprägt von Höhen und Tiefen. Wir verraten an dieser Stelle aber noch nicht zu viel. Nur eines vorneweg: Es wird kalt, sehr kalt.

Die Aussentemperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt und es weht eine frostige Biese. Nur wenige denken bei solchen Bedingungen daran, baden zu gehen. Und wenn, dann in einer Therme, gefolgt von einem wohlriechenden Aufguss in der Sauna. Doch für die Aspirantinnen und Aspiranten der Polizeiakademie von Savatan steht am heutigen Tag nicht einfach ein gemütlicher Wellnesstag bevor. Im Gegenteil. Für sie wird es bitterkalt.

Wir schreiben den 29. November 2023. Zwei Klassen der diesjährigen Aspirantenschule versammeln sich am Hafen von Bouveret, am Ufer des Genfersees. Die Stimmung ist angespannt, Unsicherheit macht sich breit. «Das werde ich unmöglich schaffen», «Wie schlimm wird es wohl», «Was tue ich mir hier bloss an». Gedanken, mit welchen sich die jungen Leute unweigerlich herumschlagen müssen. Doch was ist der Grund für ihre Anspannung?

Neben der Aneignung von Fachwissen legt die Polizeiakademie von Savatan Wert auf eine praktische und realitätsnahe Ausbildung mit situationsbezogenen Übungen, die an alle Bedingungen angepasst sind. Ein Modul wird zu diesem Zwecke jeweils in den Wintermonaten durchgeführt: «Rettung in kaltem Wasser». Die Kursziele sind vielseitig. Einerseits sollen die Aspirantinnen und Aspiranten die Auswirkungen von kaltem Wasser auf den eigenen Körper und Organismus spüren. Eine allfällige Rettung unter diesen Bedingungen ist selbst für die Rettenden nicht ungefährlich. Daher gilt es, die Risiken aber auch die eigenen Möglichkeiten einschätzen zu können. Andererseits sollen die Teilnehmenden die verschiedenen Stadien der Unterkühlung erkennen und die Massnahmen zu ihrer Bekämpfung kennen.

Hypothermie Grad I

(leicht)

Körpertemperatur: 36 bis 32°C (Abwehrstadium)

Symptome: Völlig wach, Schüttelfrost, Gänsehaut, Kältegefühl, beschleunigter Herzschlag, Atembeschwerden und Harndrang, blasse, bläuliche Haut, Schmerzen in den Gelenken (Hände, Füsse, Knie, Genitalien).

Verhaltensweisen: Bewegung, wärmende Decke (Rettungsdecke) bzw. Kleider, warme Getränke, Schutz vor Wind und/oder einen wärmeren Ort aufsuchen.

Hypothermie Grad II

(mittel)

Körpertemperatur: 32 bis 28°C (Erschöpfungsstadium)

Symptome: Anfälle von kältebedingtem Zittern, zunehmende Schläfrigkeit, verminderte Herzfrequenz, kalte, blasse Haut, weniger deutliche Sprache, Erregung, zögerlicher Gang, Muskelkrämpfe.

Verhaltensweisen: Keine abrupten Bewegungen, reagieren, sprechen, sich mit allen Mitteln langsam aufwärmen und Hilfe rufen.

Ratschläge: Reibung/Kneten der Haut vermeiden und sich nicht zu schnell erwärmen.

Hypothermie Grad III

(schwer)

Körpertemperatur: unter 28°C (Stadien der Lähmung oder sogar des scheinbaren Todes)

Symptome: Tiefe Bewusstlosigkeit, Muskelsteifheit, unregelmässige Atmung, langsamer und schwacher Puls, Ausbleiben jeglicher Reaktion, Koma, Verlangsamung der Lebensfunktionen mit der Möglichkeit eines Scheintods, Atemstillstand.

Verhaltensweisen: Es handelt sich um einen lebensbedrohlichen Notfall, eine Angelegenheit für Spezialisten mit allmählicher Erwärmung, oft um 1 °C pro Stunde.

Ratschläge: Nasse Kleidung ausziehen, falls vorhanden, ein warmes Getränk geben (Person bei Bewusstsein), Patient flach hinlegen, dagegen abrupte Positionswechsel vermeiden, Wärme aufrechterhalten, Wärmeverlust vermeiden:

Schutz vor Kälte, in eine isolierende Decke einwickeln (aussen goldfarben, innen silberfarben), Körperwärme spenden, Schutz vor Wind, Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung, Professionelle Hilfe alarmieren und im Notfall, Wiederbelebung.

Nicht zuletzt werden sie mit dieser Übung an ihre körperlichen Grenzen gebracht. Ein Zustand, der Emotionen hervorrufen kann. Und diese können, wie wir vorhin gehört haben, wiederum ein Gedankenkarussell auslösen. Auch diese Erfahrung ist Teil der Übung. Wie gehen die Aspirantinnen und Aspiranten mit Gefühlen wie Angst oder Wut um? Die körperliche und geistige Ausdauer und die Gewöhnung an Stresssituationen entwickeln Selbstvertrauen. Wer seine Ängste überwindet und ihnen mit Mut begegnet, kann Stolz empfinden. Floskeln, welche die angehenden Polizistinnen und Polizisten unmittelbar vor der Übung wohl kaum interessieren.

Am Hafen von Bouveret stehen sie also im Halbkreis, während der Instruktor von ebendiesen Kurszielen und dem Ablauf der Übung erzählt. Einige von ihnen blicken mit unsicherem Blick in Richtung Ufer. Andere versuchen, dem bösen Spiel gute Miene aufzusetzen. Dann kehrt kurz Ruhe ein am Ufer des Genfersee. Die erste Gruppe macht sich bereit, um die ersten, bitterkalten Schritte ins Wasser zu gehen. An diesem Tag weist dieses übrigens eine Temperatur von knapp über 10°C auf. Das Modul beinhaltet drei Phasen, wobei nach jedem Durchgang eine kurze Pause eingelegt wird, in der sich die Aspirantinnen und Aspiranten erholen und aufwärmen können.

Da schwimmen sie also dahin, über eine Distanz von 40 Metern. Leidende Gesichter sind zu sehen. Bei den Schwimmern aber auch bei ihren Kameraden am Ufer. Sie sind es, die mit ihnen mitfiebern, sie unterstützen und motivieren und ihnen Mut machen. Wohl auch weil sie wissen, dass sie die nächsten sind, die ins Wasser steigen werden. Als die Aspirantinnen und Aspiranten erstmals wieder das Ufer erreichen, geschieht etwas ganz Besonderes. Es ist nicht die Kälte, die einem Aussenstehenden Gänsehaut beschert, sondern der Anblick der gegenseitigen Unterstützung, der Solidarität und des Zusammenhalts innerhalb der Gruppe. Es wird gezittert, geflucht und gewärmt, aber, und das ist das Entscheidende, es ist niemand allein. Alle sind sie nun fest entschlossen, dass sie es schaffen werden. Und mit dieser neu gewonnenen Sicherheit ist selbst eine zweite und dritte Phase keine genug grosse Hürde mehr, um die jungen Leute vom Erfolg dieser Übung abzuhalten.

Erschöpft aber stolz über das Erreichte, gehen nach diesem Modul gestärkte Aspirantinnen und Aspiranten hervor. Sie haben gezeigt, was es bedeutet, über sich selbst hinauszuwachsen und sich seinen Emotionen zu stellen.

Der Unterschied zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen liegt in der Entschlossenheit, die in dir schlummert.

Teilen :

Beitrag von

Beiträge der
Nach oben scrollen